Hilfsmittel klug einsetzen – nicht verbieten

Hilfsmittel klug einsetzen – nicht verbieten

Reflektierter Einsatz von Hilfsmitteln im Unterricht

Nicht jedes Hilfsmittel ist zu jedem Zeitpunkt hilfreich. Manches beschleunigt sinnvolle Arbeitsschritte enorm, anderes bremst die eigene Denkleistung – gerade dann, wenn es um Kreativität, Verständnisaufbau oder das bewusste Üben zentraler Grundfertigkeiten geht. Aus genau diesem Grund ist mein „Hilfsmittel-Checker“ keine Verbotsampel, sondern ein Werkzeug zur gemeinsamen Aushandlung, das dokumentiert: Welche Tools helfen uns in welcher Phase – und wie setzen wir sie so ein, dass Lernen, Qualität und Zukunftskompetenzen gewinnen?

Hinweis: Das Tool ist zweisprachig. Oben im Tool kannst du die Sprache zwischen Deutsch und Englisch umstellen (DE/EN).

Zum Tool-Checker


Leitgedanke: Von „Darf ich das?“ zu „Wann und wie ist es sinnvoll?“

Statt pauschaler Ja/Nein-Regeln klären wir für jede Phase des Lern- bzw. Gestaltungsprozesses:

  1. Zielbeitrag – Wobei soll das Tool konkret helfen?
  2. Lernwirkung – Fördert es Verstehen, Üben, Transfer – oder verkümmert etwas Wichtiges (Deskilling)?
  3. Praxisbezug – Entspricht der Einsatz realen Workflows in Ausbildung/Beruf (Reskilling/Professionalisierung)?
  4. HandhabungWie nutzen wir das Tool so, dass es lernförderlich und kompetenzbildend wirkt?

Der Checker hält diese Aushandlungen transparent fest – samt Begründung, „Do’s & Don’ts“ und kurzer Hinweise, wie der Einsatz gelingen kann. Das Ergebnis lässt sich als HTML exportieren und in Projekte/Portfolios übernehmen.


Beispiel aus der Praxis (Fach Gestaltung)

1) Ideenfindung/Kreativphase

  • Hilfreich: Kreativitätstechniken (analog/digital: Bildimpulse, Reizworttechnik, Morphologische Matrix, 6-Hut-Methode, Osborn-Liste, ABC-Technik etc.)
  • Eher hinderlich: Frühphase-Recherche und Text-KI mit „fertigen Ideen“ – sie schiebt zu schnell Lösungen in den Vordergrund und verengt den Suchraum.
  • So setzen wir ein: KI-frei starten (Divergenz sichern), dann kurzes Spot-Research zur Anreicherung. Ergebnisse ins Skizzenbuch/Board, erst danach clustern und auswählen.

2) Verdichtung & Auswahl

  • Hilfreich: Entscheidungsmatrizen, Kriterienraster, Peer-Feedback.
  • KI-Nutzung mit Mehrwert: Text-KI für Kriterienformulierung („Woran messen wir Qualität?“) und für Gegenargumente („Was spricht gegen Variante B?“).

3) Persona, Use-Cases, Journeys

  • Hilfreich: KI zur Visualisierung und Ausarbeitung einer bereits definierten Zielgruppe (Persona-Entwurf mit Bild und Text).
  • Begründung: Das entspricht beruflicher Praxis: Wir beschleunigen die Dokumentation, ohne den Erkenntnisschritt der Zielgruppenanalyse zu ersetzen.

4) Prototyping & Ausarbeitung

  • Hilfreich: Digitale Tools (Vektor, Layout, 3D/CAD), Bild-/Text-KI für Variantenstudien, Stiltests, Alternativformulierungen.
  • Sinnvolle Leitplanken: Quellen und Tools dokumentieren, Entscheidungen begründen.

5) Präsentation & Reflexion

  • Hilfreich: KI als Sparringspartner (Pitch-Struktur, Gegenfragen, Zielgruppen-Ton), Checklisten.
  • Wichtig: Retrieval und Erklären sichern (z. B. ohne Hilfsmittel die Designentscheidungen begründen).

Upskilling, Reskilling, Deskilling – konkret gedacht

  • Upskilling: Prompting (präzise Aufgabenstellungen), kritische Bewertung, dokumentierte Entscheidungen.
  • Reskilling: Realistische, effiziente Workflows (z. B. Persona-Texte und Mood-Statements mit KI generieren, aber Auswahl/Kontextsetzung selbst vornehmen).
  • Deskilling vermeiden: Kreativstart, Skizzenkompetenz, Materialgefühl, handwerkliches Ausprobieren, strukturierter Rechercheaufbau – diese Bereiche bewusst ohne oder zeitlich versetzt mit Hilfsmitteln trainieren.

„Wie“ statt nur „ob“: didaktische Prinzipien für den Hilfsmittel-Einsatz

  1. Phasenlogik explizit machen: Erst Divergenz (weite Suche), dann Konvergenz (Auswahl).
  2. Zeitfenster setzen: z. B. 15–20 Minuten KI-frei für Ideengenerierung, danach gezielte Tool-Impulse.
  3. Transparenzpflicht: Quellen, Alternativen und Auswahlkriterien dokumentieren (Tool-Export nutzen).
  4. Vergleichsaufgaben: Einmal „zu Fuß“, einmal mit Tool – Unterschiede in Qualität, Tempo, Lerneffekt diskutieren.
  5. Rollenwechsel: Lernende formulieren selbst Tool-Leitlinien für eine Phase und begründen sie.
  6. Transfer sichern: „Wie würdest du das ohne Tool lösen?“ – Kurzskizzen, mündliche Erklärungen, Mini-Tests.

Neuro-Impulse: Warum „von Hand“ weiter wichtig ist

  • Verankerung durch Produktion: Skizzieren, schreiben, sprechen – aktive Produktion vertieft Gedächtnisspuren.
  • Embodiment: Manuelle Tätigkeiten (Zeichnen, Modellieren) binden Wahrnehmung, Raumgefühl und Feinmotorik ein – hilfreich für Form- und Proportionsbewusstsein.
  • Fremdsprachen & Wahrnehmung: Der präfrontale Kortex spielt beim Erlernen einer Fremdsprache eine zentrale Rolle, indem er die sogenannten Exekutivfunktionen wie Planung, Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeitssteuerung und inhibitorische Kontrolle trainiert. Dieses zusätzliche Training stärkt die Gehirnregionen, was zu einer verbesserten kognitiven Leistung führt und langfristig die Gesundheit des Gehirns fördert. Spannend: der präfontale Kortex entwickelt sich bei neurodivergenten Menschen oft langsamer. Fremdsprachenlernen unterstützt die Entwicklung.
    Menschen, die mehrere Fremdsprachen beherrschen haben ein offeneres Weltbild, Raum und Zeit werden in Sprachen nicht nur anders kommuniziert, sondern anders wahrgenommen. Wer Sprachen lernt ist sich also oft der Subjektivität von Wahrnehmung bewusster.
  • Balance statt Romantik: Handwerk trainieren und Tools nutzen – je nach Phase. Ziel ist bessere Gestaltung, nicht das puristische Weglassen.

So moderierst du den Aushandlungsprozess mit dem Tool

  1. Phasen festlegen: Z. B. Problemklärung, Ideenfindung, Auswahl, Persona, Prototyp, Ausarbeitung, Präsentation, Reflexion.
  2. Hilfsmittel sammeln: Kreativitätstechniken, Recherche, Text-KI, Bild-/Audio-KI, CAD/3D-Druck, Skizzenbuch, Kamera/Smartphone …
  3. Matrix im Tool öffnen: Für jede Phase pro Hilfsmittel gemeinsam klären:
    • Zielbeitrag (Wozu genau?)
    • Risiko (Was könnte verkümmern?)
    • Wie (Konkrete Regeln: Zeitpunkt, Dauer, Dokumentation, Qualitätssicherung)
  4. Entscheidung festhalten: Was wollen wir wie und wann nutzen?
  5. Erproben & iterieren: In der nächsten Aufgabe prüfen, Erfahrungen eintragen, Regeln nachschärfen.
  6. Export nutzen: HTML-Report in die Projektmappe – fördert Transparenz gegenüber Lernenden, Eltern, Prüfungsgremien.

Beispiel-Matrix (Auszug, so könnte das im Tool stehen)

Phase: Ideenfindung

  • Kreativitätstechniken: Zielbeitrag: Divergenz erzeugen. Wie: 2 Runden à 8 Min., keine Recherche, keine KI. Risiko:
  • Recherche: Zielbeitrag: Inspirationsspektrum erweitern. Wie: Erst nach der 2. Ideenschleife, streng am Briefing, maximal 10 Min. Risiko: Premature fixation (zu frühe Festlegung).
  • Text-KI: Zielbeitrag: später für Clustertitel/Headlines. Wie: erst nach eigener Ideensammlung. Risiko: Einengung, Konvergenz zu früh.

Phase: Persona

  • Text-KI: Zielbeitrag: Persona aus vorhandenen Zielgruppenmerkmalen präzisieren. Wie: Prompt mit bereits erhobenen Daten; 3 Varianten, Begründung der Wahl. Risiko: Ersatz der Analyse – vermeiden durch Pflichtangaben aus eigener Recherche.
  • Bild-KI: Zielbeitrag: Visuals zur Persona. Wie: 2–3 Stilvarianten, Passung zum Markenbriefing prüfen. Risiko: Scheinpräzision – gegensteuern mit Kriterienraster.

Qualitätskriterien für „guten“ Tool-Einsatz

  • Passung zum Lernziel und zur Phase
  • Transparenz (Quellen, Versionen)
  • Eigenanteil klar erkennbar (Begründungen, Skizzen, Entscheidungen)
  • Reproduzierbarkeit (ohne Tool das „Warum“ erklären können)
  • Praxisnähe (entspricht realen Workflows)
  • Fairness (gleiche Chancen, klare Regeln, kein Schatten-Einsatz)

Ablaufvorschlag für eine 90-Minuten-Sequenz

  1. Warm-up (10 Min.): Doppelte Zielscheibe: „Wo hilft Tool-X mir? Wo schadet es mir?“
  2. Phasen-Mapping (15 Min.): Projektphasen kurz klären, an Pinnwand/Tool anlegen.
  3. Gruppenarbeit (35 Min.): Je eine Phase bearbeiten, Hilfsmittel diskutieren und „Wie einsetzen“ konkretisieren.
  4. Gallery Walk (15 Min.): Ergebnisse vergleichen, Konflikte benennen, Regeln nachschärfen.
  5. Commitment & Export (15 Min.): Konsensregeln festhalten, Report exportieren und im Projekt verlinken.

Fazit

Das Ziel ist nicht, Hilfsmittel zu verbieten, sondern bewusst zu wählen: richtiges Tool, richtige Phase, richtiges „Wie“. So wachsen Qualität, Geschwindigkeit und Professionalität – ohne dass zentrale Kompetenzen verkümmern. Der „Hilfsmittel-Checker“ macht diesen Prozess sichtbar, verhandelbar und übertragbar.

Tipp: Nutze im Tool konsequent die Begründungsfelder und das Feld für zusätzliche Hinweise. Der HTML-Export eignet sich hervorragend für die Projektdokumentation, Prüfungsnachweise und die Kommunikation im Bildungsgang.

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